14.4.2014 |
An der Technischen Hochschule in Deggendorf entsteht ein neues Institut für Risikomanagement. Es ist das einzige seiner Art im gesamten deutschsprachigen Raum.
Insolvenzverwalter Josef Scherer wechselt die Seiten: An der Technischen Hochschule Deggendorf richtet er ein Institut ein, das sich mit der Frage befasst, wie Unternehmer Pleiten verhindern können. "Wir müssen viel stärker in die Prophylaxe gehen", bewirbt der Jurist, der seit 1996 auch Professor an der Deggendorfer Hochschule ist, sein Projekt.
Bereits im Mai 2012 genehmigte das Wissenschaftsministerium in München Scherers "International Institute for Governance, Management, Risk & Compliance", das der Deggendorfer Hochschulrat vor kurzem per Beschluss zu einem offiziellen Teil der THD machte. Es ist das erste mit diesem fachlichen Zuschnitt im deutschsprachigen Raum, wo sich bislang nur einzelne Lehrstühle mit der Thematik befassten, darunter Scherers Lehrstuhl in Deggendorf. Längst wächst um ihn ein weltweit verzweigtes Netzwerk von Koryphäen wie dem Schweizer Wissenschaftler Bruno Brühwiler, Weiterbildungsspezialist Frank Romeike oder dem ehemaligen EADS-Manager Christoph Schwager, die mit Scherer als Institutsleiter den fachlichen Kern des neuen Kompetenzzentrums in Deggendorf bilden und dort die drei Säulen Wissenschaft, Weiterbildung und Praxis betreuen. Hier soll das neue Institut Pionierarbeit leisten und in den kommenden fünf Jahren in den Bereichen Governance, Management, Risiko- und Compliancemanagement eine vorherrschende Lehrmeinung, eine "Deggendorfer Schule", entwickeln.
Doch zuvor muss noch viel Arbeit geleistet werden. Auch braucht Scherer noch Sponsoren, denn das "GMRC Institut" finanziert sich durch Drittmittel, staatliche Zuschüsse gibt es nicht. Das Thema ist begehrt, denn Risikomanager sind in der Wirtschaft gefragte Fachleute, wie Scherer aus der Erfahrung mit seinen Studenten weiß. "Da tun sich interessante Berufschancen auf." Das Einzugsgebiet von Scherers Master-Studiengang in Risikomanagement erstreckt sich längst auf den gesamten deutschsprachigen Raum.
Im Interview mit der Passauer Neuen Presse spricht Prof. Dr. Josef Scherer über beratungsresistente Unternehmer, die Vorteile einer Insolvenz, Eier, Schäfchen und schwarze Schwäne.
Herr Scherer, was sind Ihrer Erfahrung nach eigentlich die häufigsten Fehler von Unternehmern?
Josef Scherer: Dass sie sich keine Zeit nehmen für einen Risiko-Check. Da ist viel Psychologie im Spiel: Gute Unternehmer kennen ihre Schwachstellen, verdrängen sie aber manchmal und gehen Probleme nicht proaktiv an. Erfolgreiche Unternehmer verlassen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, ihre eingefahrenen Muster nicht. Doch gerade wenn Betriebe schnell wachsen, kommt die interne Organisationsstruktur nicht hinterher. Kannte man als Mittelständler früher noch alle Partner und Lieferanten persönlich, ist das in einem gewachsenen Unternehmen nicht mehr möglich. Da kann man nicht mehr alles mit dem Hinterkopf steuern, sondern braucht Instrumente wie eine Projektkalkulation. Doch häufig reagieren Unternehmer dann beratungsresistent.
Wie viele Insolvenzen wären durch frühzeitiges Handeln zu verhindern?
Scherer: 99 Prozent. Im Risikomanagement gibt es zwar auch so genannte schwarze Schwäne, also unvorhersehbare Ereignisse, aber Insolvenzen sind meist vorherzusehen. Ein prominentes Beispiel ist ein niederbayerisches Solarunternehmen, das zwei Jahre vorher aus den Medien wusste, dass 40 Prozent der Solarunternehmen vom Markt verschwinden werden, unter anderem wegen der Billigproduktion in China. Würde man sich Zeit nehmen für einen Risiko-Check, könnte man Schieflagen früh erkennen und gegensteuern. Von der strategischen Krise bis zur Liquiditätskrise eines Unternehmens vergehen oft zwei Jahre.
"Man sollte Generalistsein und dieFettnäpfchen kennen"Ist eine Insolvenz eigentlich immer etwas Schlechtes?
Scherer: Sie ist für alle Betroffenen sehr schlecht: für den Unternehmer, der vielleicht persönlich in Insolvenzgefahr gerät, für Mitarbeiter, die arbeitslos werden, für Lieferanten und Kunden. Es hat aber auch ein Gutes: Der Markt wird von einem Unternehmen bereinigt, das sonst noch mehr Schaden anrichten würde. Manchmal ist eine Insolvenz auch das einzige Instrument, um sich Altlasten zu entledigen und neu anzufangen.
Muss man heute als Mittelständler Jurist sein, um sein Unternehmen sicher führen zu können?
Scherer: Nein. Man sollte aber Generalist sein in den Bereichen Recht, Technik und Wirtschaft, sollte Grundzusammenhänge kennen und eine gewisse Sensibilität aufweisen, sollte Fettnäpfchen kennen und wissen, wie man mit Spezialisten, etwa Juristen oder Controllern, reden muss. Wer sich gar nicht mit diesen Fragen beschäftigt, handelt sogar pflichtwidrig und das führt zur persönlichen Haftung.
Wie kann ein Unternehmer sich und seinen Betrieb mit einfachen Mitteln vor Schaden bewahren?
Scherer: Man sollte nicht alle Eier in denselben Korb legen, sondern sich breit aufstellen und ein zweites Standbein haben. Man sollte bei Problemen frühzeitig gute, erfahrene Berater einschalten, die man vorher getestet hat. Dabei sollte man herausgefunden haben, ob neben der fachlichen Kompetenz auch Einsatz für den Mandanten, Verfügbarkeit, Loyalität und Durchsetzungsvermögen stimmen. Außerdem ist es ratsam, in guten Zeiten seine Schäfchen ins Trockene zu bringen und insolvenzfeste Vermögensanlagen zu bilden. Wenn dann doch alles zu spät ist, gilt es loszulassen, bevor etwa die Ehefrau eine Bürgschaft unterschreibt.
"Im Tagesgeschäft wird nicht immer logisch reagiert"Sie haben 2011 eine Umfrage unter ostbayerischen Unternehmen gemacht: 60 Prozent hatten noch kein Risikomanagement, 17 Prozent planten auch keins, aber 78 Prozent sagten, sie seien daran interessiert. Wie geht das?
Scherer: Jeder weiß, es ist sinnvoll, weil alle Beteiligten davon profitieren. Aber im Tagesgeschäft wird nicht immer logisch reagiert. Das ist die Angst vor dem Unbekannten. Handwerker wollen ungern mit diesen Themen umgehen, dabei kann es sogar Wettbewerbsvorteile bringen. Doch dafür muss man sich das erst bewusst machen und den inneren Schweinehund überwinden.
Sie geben in einer Ihrer Publikationen als Verluste durch fehlendes Risikomanagement in Deutschland Größenordnungen von 60 Milliarden Euro und 400000 Arbeitsplätzen im Jahr an. Braucht es amerikanische Verhältnisse, um Manager zu sensibilisieren?
Scherer: Diese amerikanischen Verhältnisse, also Versuche, jeden haftbar zu machen, sind längst da. Das Bewusstsein für das Thema Managerhaftung ist in den vergangenen Jahren rasant geschärft worden, auch durch medienwirksame Fälle wie Leo Kirchs Klage gegen die Deutsche Bank (nachdem deren damaliger Vorstandsvorsitzender die Insolvenz des Kirch-Konzerns durch eine Äußerung mit auslöste, Anm. d. Red.). Es gibt mehr Transparenz durch Medien, Verfolgungsbehörden agieren schärfer. Es gibt eine deutliche Veränderung, die teils auch übertrieben ist. Das sieht man an dem Aufwand, den manche Manager betreiben, um sich vor unberechtigten Angriffen zu schützen.
Ein Fall, der das Bewusstsein für Verhaltensfragen, also Compliance, in der Region geschärft hat, ist der sogenannte "Deggendorfer Bierkrieg", bei dem Freibier-Lieferungen an die frühere Deggendorfer Oberbürgermeisterin durch eine Brauerei zur Sprache kamen. Was muss man daraus lernen?
Scherer: In solchen Fällen, man würde vielleicht sagen Provinz-Streitereien, hätte man früher noch gesagt: Das ist blöd gelaufen. Heute wird alles hinterfragt, es wird geprüft, ob die Auftragsvergabe in Ordnung war, Behörden schalten sich ein, oft auch die Staatsanwaltschaft. Und auch wenn sich dann herausstellt, dass nichts dran war, kann die Reputation leiden nach dem Prinzip: kleine Ursache, große Wirkung. Das wird in Deutschland sehr häufig unterschätzt.
...Prof. Peter Sperber, Präsident der THD.
"Wir werden sichtbarer"
Welchen Mehrwert hat das Institut für die THD?
Sperber: Zum einen ist das Institut ein Aushängeschild für die THD. Zweitens ist der Bereich Compliance auch für die Hochschule interessant. Das Institut wird uns bei der Entwicklung eines Compliance-Systems beraten.
Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Sperber: Das Institut ist in die Hochschule eingebunden. Das bedeutet für die Verwaltung etwas Mehrarbeit. Wir helfen organisatorisch, wo wir können. Dafür erhöht das Institut die Sichtbarkeit der THD in der Öffentlichkeit.
Welches Niveau von "Sichtbarkeit" hat die THD aus Ihrer Sicht denn schon erreicht?
Sperber: Ich denke, dass wir besonders in den vergangenen zwei, drei Jahren verstärkt wahrgenommen wurden. Laut einer Auswertung unserer Pressestelle sind wir deutlich aktiver als alle anderen Hochschulen in Bayern. Aber es geht trotzdem immer noch besser.
Quelle: Passauer Neue Presse vom 14.04.2014
Autorin: Sabine Kain
Foto: Binder