„Innovativ, interdisziplinär, international!“ So beschreibt mir Professor Hugendubel sein neues Projekt. Ich hatte ihn gefragt, was denn das Alleinstellungsmerkmal seiner aktuellen Forschungsbemühungen sei, in einer E-Mail bat er nach einer Pressemitteilung dazu. „Wir arbeiten an einer Lösung für die größte Herausforderung unserer Zeit!“ Klingt wahnsinnig spannend, oder? Leider nicht für mich.
Der Fluch der I-Worte
Von welchem Thema wir hier eigentlich reden? Die Antwort: von jedem und von keinem. Professor Hugendubel ist nur eine imaginäre Schreckgestalt in meinem Kopf, aber seine Aussagen liegen bei mir ziemlich oft genauso auf dem Schreibtisch. Ich bin also nicht beeindruckt. (Besonders, da die „größte Herausforderung“ seltsamerweise oft eine andere ist: Klimawandel, Fachkräftemangel, Datenschutz, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit etc. Hängt wohl davon ab, wen man fragt.) Wir sind die THD. Die forschungsstärkste Hochschule Bayerns. Alles, was wir hier machen, sollte innovativ, interdisziplinär, international und [ein Dutzend andere Adjektive, die mit i beginnen] sein. Sonst würden wir es ja nicht machen, oder? Was ich will, was ich brauche, mehr als alles, ist Kontext!
Wenn ich eine Aussage in keinen Kontext stellen kann, hat sie keinen Informationswert. Das ist wie ein Burger ohne Boulette (wahlweise vegan, vegetarisch oder fleischig). Ich kann ihn essen, aber satt bin ich nachher nicht. Die Pressemitteilung nehme ich nächstes Mal nicht mehr! Entschuldigung, ich meinte natürlich den Burger...
Der Informationswert eines Salatblatts
Ich will ja informative Inhalte schreiben und die Forschung nach außen tragen, aber geben Sie mir doch bitte etwas Handfestes! Etwas anders als „In unserem ersten öffentlichen Projektmeeting mit den Unternehmen X, Y, Z und der Oberschnupfinger GmbH & Co. KG haben wir das bisherige Vorgehen diskutiert, erste Erkenntnisse geteilt und unsere Kooperationsstruktur evaluiert. Anfang war 9 Uhr, Ende 16 Uhr. Gemeinsames Ausklingen in gemütlicher Runde. Punkt.“ Spannend, ich möchte auf dem Laufenden bleiben.... nicht.
Dabei wäre es so einfach: Wer, Wie, Wo, Was, Wann, Warum. Aber das WAS kommt so oft zu kurz. (Das WER kommt übrigens häufig „zu lang“: 5 Lokalpolitiker, 10 Projektteilnehmende, 20 Sponsoringfirmen, 30 Besuchende mit Vollnamen und Steuerversicherungsnummer. Ich habe zwar kein Character-Limit wie Twitter damals, aber Leserinnen und Leser haben begrenztes Interesse.)
Sie stecken um die 40 Stunden pro Woche in Ihre Arbeit und dann möchten Sie Ihre Erkenntnisse öffentlich machen, aber dann geben Sie mir lediglich eine Programmübersicht. Dieses Drumherum reicht doch nur zum Salatblatt! Fällt irgendwie auf, wenn es fehlt, ist aber nicht entscheidend! Geben Sie mir die Boulette! Ich nehm sie roh und brutzel Ihnen das pressereif durch!
Von extraterrestrischen Reiserouten und wissenschaftlichen Kaffeekränzchen
„Wir machen tolle Forschung!“ ist keine Pressemitteilung. „Unser Projekt arbeitet daran die Reiseroute extraterrestrischer Wesen vom Eintrittsmoment in die Milchstraße bis zur Ankunft in der Antarktis (da größtenteils staatenlos) zu verfolgen und zu steuern. Dazu nutzen wir festinstallierte Kommunikationsknotenpunkten auf Saturn, Jupiter und Mars, und zwei hoch hitzebeständige Satelliten in der Umlaufbahn der Sonne. Dadurch können wir die genaue Reisedauer sowie Ankunftszeit auf die Sekunde genau berechnen. Das gibt uns genügend Vorlauf, um alle führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort zu versammeln, bevor Politikerinnen und Politiker die Ankommenden für ihr Wahlprogramm einspannen können.“ Na, damit könnt ich was anfangen! Ob Sie alle Projektbeteiligten für ein Update bei Kaffee und Kuchen eingeladen haben, interessiert mich weniger. Auch wenn Sie sich dafür den Bürgermeister oder die Landrätin schnappen konnten.
Über die Entstehung der Arten (von Ausreden)
Wer jetzt sagt „Ich bin Akademiker, die konkreten Inhalte meines Themas sind nur für andere Fachleute relevant“, dann muss ich sagen: Das ist jetzt aber nicht sehr interdisziplinär von Ihnen. Außerdem verlangt niemand eine wissenschaftliche Abhandlung von Ihnen (wehe, Sie schicken mir eine) oder prosaische Höchstleistungen (bitte zügeln Sie sich). Wenn Sie Ihre Forschung nicht mit der Außenwelt teilen, wird es nun mal immer nur das bleiben: Forschung. Wo wären wir schließlich, hätte Charles Darwin seine Beobachtungen zur Entstehung der Arten nicht in einem Buch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Nicht, dass er der Erste gewesen wäre, der die Evolution beobachtet hätte. Die Wahl seines Kommunikationsmediums aber hat maßgeblich zur Informationsverbreitung in der westlichen Welt beigetragen.
Bilder sagen mehr als tausend Worte?
Von der Bildauswahl will ich erst gar nicht anfangen. Ich könnte ein Foto haben, in dem eine wissenschaftliche Mitarbeiterin als Teil ihres Forschungsprojekts schwerelos im All die Außenseite eines Raumschiffs repariert, aber bekomme vom Projektbetreuer das hier: „Nein, nehmen Sie das Bild von diesen drei alten, weißen Männern in Anzügen. Es ist wichtig, dass die Sponsoren genannt werden.“ Das ist natürlich eine überspitzte Darstellung (loosely based on a true story), aber es würde mich nicht wundern. Schockieren? Ja. Überraschen? Nein. (Man könnte jetzt anmerken, dass wir doch gar nicht im Bereich Raumfahrt tätig sind, aber wer weiß, welche Forschungsschwerpunkte wir in Zukunft noch in Angriff nehmen. Schließlich hat die Bayerische Staatsregierung 2022 verkündet, Bayern zu einem führenden Raumfahrtstandort machen zu wollen. Falls Herr Staatsminister Blume irgendwelche Ambitionen dieser Art hegt, die THD würde das übrigens übernehmen, just saying.)
“Give me your hands, if we be friends.”
War Ihnen mein Text zu negativ? Dann erhören Sie mein Plädoyer. Wissenschaft gehört nicht hinter verschlossene Labortüren. Es geht um Neugier, Austausch, Kreativität (und keins dieser Wörter beginnt mit einem i!). Der Enthusiasmus für Ihre Forschung darf bei der Öffentlichkeitsarbeit nicht auf der Strecke bleiben. Kochen wir zusammen etwas, das mehr ist als ein langweiliges Fertiggericht: Wissenschaftskommunikation, die Lust auf mehr macht.
Teresa Eggerstorfer
Teresa Eggerstorfer ist Medienwissenschaftlerin mit einem Faible für Linguistik. An der THD schreibt sie Texte für die Hochschul- und Wissenschaftskommunikation, dabei lässt sie ab und an das ein oder andere Shakespeare-Zitat fallen. Nur selten findet man sie ohne koffeinhaltiges Getränk.